Die vielen Gesichter der Armut

Gibt es Armut in unserer Breiten? Mit dieser Frage setzte sich der Dekanatsrat Esslingen-Nürtingen in seiner Sommersitzung am 19. Juni 2012 auseinander. Die Vertretung der Katholiken im Kreis Esslingen informierte sich über die Situation armer Menschen in der Region.

Obwohl der Großraum Stuttgart als wohlhabend gilt, geht die Schere zwischen arm und reich auch hier immer mehr auseinander. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung hat. In Deutschland sind dies immerhin 15 Prozent der Bevölkerung. Brigitte Chyle, Fachleiterin für soziale Hilfen der Caritas, zählte die Risiken auf, die allein und vor allem in Kombination zu Armut führen. Neben Arbeitslosigkeit und Verschuldung können Kinderreichtum, Trennung vom Lebenspartner, Migration, Alter, langwierige Erkrankungen, Pflegedürftigkeit und Sucht zur Bedrohung werden.

Erschreckt zeigten sich die Vertreter aus Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen über die hohe Zahl von armen Kindern. Jedes zehnte Kind in Baden-Württemberg lebt von Hartz IV. Fast ein Drittel der Sozialhilfeempfänger im Landkreis Esslingen sind unter 18 Jahren. Besonders hart trifft es Alleinerziehende, von denen über die Hälfte mit Armut zurechtkommen müssen. In der Diskussion stellten die Dekanatsräte fest, dass Betroffene ihre schwierige Lage aus Scham oft verstecken. Allerdings ist die Not längst an den Pfarrhaustüren und in den Einrichtungen der Caritas angekommen. Die Nachfrage nach bezahlbaren Lebensmitteln in Tafelläden steigt. Ebenso der Unterstützungsbedarf in den "Orten des Zuhörens". Diese helfen Menschen in sozialen Notlagen weiter.

Dass Armut sich nicht nur an Geld festmachen lässt, legte Lisa Kappes-Sassano, Regionalleiterin der Caritas Fils-Neckar-Alb dar. Besonders benachteiligte Kinder haben auch Probleme bei der körperlichen und sozialen Entwicklung. Sie leiden unter gesellschaftlicher Ausgrenzung und können viele Angebote der Freizeitgestaltung und des kulturellen Lebens nicht wahrnehmen. Besonders bedenklich ist die Benachteiligung bei der Bildung. Fehlende Chancengleichheit führt gerade in Baden-Württemberg regelmäßig dazu, dass Armutsrisiken in einer Familie an die nächste Generation weiter gegeben werden.

Vor diesem Hintergrund begrüßte Dekan Paul Magino, dass die Aktivitäten von Caritas, Fachdiensten und Pfarreien in der Bekämpfung von Kinderarmut nun in einer Stiftung gebündelt werden sollen. Der Dekanatsrat beschloss, zusammen mit der Caritas eine Kinderstiftung ins Leben zu rufen. Sie soll dort, wo sich Lücken im sozialen Netz auftun, Kinder und Jugendliche Teilhabe an einem gelungenen Leben ermöglichen. Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen haben bereits ihre Unterstützung zugesagt. Im November 2012 wird die Kinderstiftung aus der Taufe gehoben.