Visionen einer gerechten Welt

Hungern war nicht angesagt bei der Ausstellungseröffnung im Haus Fokus Familie. Die Künstler und Gäste wurden großzügig bewirtet. Wer anderes befürchtet hatte, weil eine Präsentation von Hungertüchern angekündigt war, wurde eines Besseren belehrt.

Hungertücher gehen auf eine alte Tradition zurück, erklärt Schuldekanin Carmen Trick. Sie hat die Kunstwerke in das Haus der katholischen Dienste in der Nürtinger Werastraße geholt. In der Fastenzeit werden mit Hungertüchern die Bilder und Figuren in Kirchen verhüllt, um ein Fasten der Augen zu ermöglichen. Später wurden diese Leinwände mit Szenen aus der Bibel bemalt. Das kirchliche Hilfswerk Misereor hat diesen Brauch wieder belebt. Seither thematisieren die Hungertücher, die zwischen Aschermittwoch und Ostern in vielen katholischen Kirchen hängen, das Thema Gerechtigkeit. Denn Misereor fördert Hilfsprojekte in der ganzen Welt.

Davon hat sich Carmen Ebert inspirieren lassen. Die Religionslehrerin an der Mörikeschule Nürtingen erkundete mit ihren Schülerinnen und Schüler was Hungertücher darstellen. Die Kirchengemeinde St. Johannes stellte dafür ihre Exemplare aus den letzten Jahren zur Verfügung. Als Thema wurde den Werkrealschülern Gerechtigkeit vorgegeben. Bei der konkreten Umsetzung waren aber die eigenen Ideen gefragt. Unterstützt wurden sie in der Arbeit mit Pinsel und Acrylfarbe von Carmen Ebert, die dabei auf ihre Ausbildung und Erfahrung als Künstlerin zurückgreifen konnte.

Zu sehen sind Werke von acht Werkrealschülern, entstanden im Religionsunterricht, in dem Katholische und Evangelische zusammen unterrichtet werden. Für die Siebtklässler war es eine neue Erfahrung, auf einer richtigen Leinwand ein eigenes Kunstwerk zu schaffen. Den jungen Leuten ist es bestens gelungen, eine der zentralen Botschaften Jesu gestalterisch umzusetzen: seinen Aufruf zur Gerechtigkeit. Sie zeigen in ihren Bildern, wo sie heute Ungerechtigkeit sehen und wie sie sich eine gerechte Gesellschaft vorstellen.

Eine große Sonne leuchtet auf dem Gemälde von Juliana. Sie stellt die  „Sonne der Gerechtig­keit“ dar, die beleuchtet, was gerecht und was ungerecht ist. Lana macht in ihrem Kunstwerk eine klare Aussage: Gleiche Menschen, gleiche Arbeit, gerechter Lohn – Gerechtigkeit muss sein! Gino hat den Spruch eines Indianerhäuptlings künstlerisch umgesetzt: „Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig“. Ins Zentrum stellt er die Erdkugel, die mit dem gesprayten Hin­tergrund kontrastiert. Alle Menschen gehören zusammen, davon ist Máté überzeugt. Die Menschen auf seinem Gemälde halten sich an den Händen. Einer von ihnen ist Jesus. Mit Collage arbeitet Ngadi. Sein großes Anliegen ist der Friede. Gemeinsam für die Welt ist Selinas Leitmotiv. Kristina stellt drei Szenen dar: über Menschen, die zu viel und solchen, die zu wenig zu essen haben, erscheint ihre Vision einer gerechten Verteilung. Maria Laura schließ­lich hat ein großes Herz für Kinder gemalt. In seiner Mitte steht ein weinender Engel mit gebrochenem Flügel. Das Motiv hat sie bei einem Besuch im Weltladen kennengelernt. Es steht für eine Aktion gegen den Missbrauch von Kindern.

Die Ausstellung ist noch bis 14. Juni 2012 im Haus Fokus Familie, Werastraße 20 in Nürtingen zu sehen. Interessierte Einzelpersonen und Gruppen sollten ihren Besuch beim Schuldekanatamt unter 07022/39890 anmelden.